Das ist ungerecht

Liebe Geschwister,

„Das ist ungerecht.“ Diesen Satz höre ich mitunter mehrmals in der Woche. Wenn ich versuche einen Streit zwischen meinen Kindern zu schlichten oder auch mal am Küchentisch. Letzte Woche war es wieder so weit. „Das ist ungerecht,“ sagte eines meiner Kinder am Esstisch. Meine Kinder lieben Maultaschen, die müssen nicht Selbstgenmacht sein, die vorgefertigten Maultaschen machen sie fast immer satt und glücklich. In einer Packung sind sechs Stück und in der Regel geht das auf. Letzte Woche war aber das eine Kind schon nach zwei Stück satt und das andere hatte nach drei noch Hunger. Also wollte ich die letzte Maultasche dem hungrigen Kind auf den Teller tun. Sofort wurde Einspruch erhoben: „Das ist ungerecht, dann habe ich nur zwei gehabt.“ Ich versuche zu vermitteln und sage: „Aber du bist doch schon satt.“ Auf mein Argument folgt sofort ein Gegenargument: „Aber was ist, wenn ich doch noch Hunger habe?“ „Jetzt bist du doch satt und wenn du später noch Hunger bekommst, werden wir garantiert noch was zu Essen finden,“ entgegne ich. So landete die letzte Maultasche dann doch noch auf dem Teller des hungrigen Kindes. Ich kann den Einspruch verstehen, die gewohnte Aufteilung ist ja, dass jeder die gleiche Anzahl bekommt und es ist ja auch möglich, dass man später noch mal Hunger hat. Aber diese Form von Gerechtigkeit wurde der Situation nicht gerecht. Und während das eine Kind noch am essen ist, unterhalten wir uns über Gerechtigkeit. Gerechtigkeit kann auch bedeuten, dass nicht jeder den gleichen Anteil bekommt, sondern dass jeder satt wird.

Mitunter geht es mir mit Gott auch so. Ich lese in der Bibel Geschichten, bei denen ich mir auch denke: „Das ist doch ungerecht.“ Jesus erzählt zum Beispiel eine Geschichte, in der zu verschiedenen Tageszeiten Menschen in einem Weinberg zur Arbeit erscheinen (Mt 20,1-16). Und am Ende bekommen alle den gleichen Lohn ausgezahlt, egal ob sie nur eine Stunde oder den ganzen Tag gearbeitet haben. Die Arbeiter sind empört, weil sie eine Bezahlung erwartet haben, die der Arbeitszeit entspricht. Und da passt es nicht, dass der, der nur eine Stunde gearbeitet hat, das Gleiche bekommt, wie der, der den ganzen Tag hart gearbeitet hat.  Mit der Geschichte wollte Jesus genau diesen Gedanken provozieren: „Das ist doch ungerecht,“ um den Menschen deutlich zu machen, dass bei Gott eine ganz andere Gerechtigkeit gilt. Gottes Gerechtigkeit orientiert sich nicht an Leistung. Gottes Gerechtigkeit ist Gnade. Das ist erst mal eine abstrakte Formulierung: Gottes Gerechtigkeit ist Gnade. Was das aber konkret bedeutet, zeigt sich daran, wie Jesus den Menschen begegnet ist. Jesus hat sich auch den Menschen zugewandt, die überhaupt nichts von Gott wissen wollten. Zum Beispiel die Zöllner, die mit den verhassten Römern zusammen gearbeitet haben und dabei Geld von Händlern und Reisenden erpressten. Das hat manchen Menschen überhaupt nicht gefallen. Die Schriftgelehrten und Pharisäer hat das Verhalten von Jesus provoziert. In ihren Augen war es ungerecht, dass diesen Menschen jetzt die Liebe Gottes zugesprochen wurde, obwohl sie doch nichts von Gott wissen wollten und sich auch nicht an Gottes Gebote hielten. Ganz offen und abfällig formulieren sie die Frage, warum Jesus sich mit solchen Menschen abgibt. Und Jesus antwortet: „Nicht die Starken bedürfen des Arztes, sondern die Kranken.“ (Mt 9,12). Mit anderen Worten sagt er: „Freut euch doch, wenn ihr den guten Gott schon erfahren habt. Aber hier sind Menschen, die sich von Gott abgewandt haben und auch ihnen möchte Gott sich mit seiner liebevollen Gnade zuwenden, damit ihr Leben eine andere Richtung bekommt.“ 

Gottes Gerechtigkeit ist Gnade. Das ist eine andere Gerechtigkeit, eine Gerechtigkeit, bei der es nicht um Leistung geht, sondern um die Liebe Gottes. Ich wünsche dir, dass du dich von dieser Gerechtigkeit immer wieder neu anstecken und erfüllen lässt.

D. Behrens

GDPR Cookie Consent mit Real Cookie Banner