Liebe Geschwister,
es ist kurz vor Weihnachten, da bekomme ich von meinem Schwiegervater eine Nachricht zugeschickt mit einem Link zu einer Kleinanzeigenseite im Internet: „Kannst du mir bitte das Ladegerät bestellen?“ Da ich auf der Plattform schon einiges gekauft und verkauft habe, antworte ich schnell: „Ja, kann ich machen.“ Ich klicke schnell auf den Link und verfasse wieder schnell eine Nachricht an den Verkäufer: „Was soll der das Ladegerät inklusive Versand kosten?“ Kurz nachdem ich auf „Nachricht senden“ geklickt habe, sehe ich die Überschrift der Anzeige: Suche Ladegerät PAPS 20I B2B. Das war also kein Angebot, sondern eine Suchanzeige. Mein erster Gedanke ist: „Kein Problem, es ist ja nichts Schlimmes passiert.“
Anscheinend doch. Wenige Minuten später bekomme ich eine Nachricht vom Verkäufer, der, wie ich ja nun selber gemerkt hatte, eigentlich ein möglicher Käufer ist. Die Nachricht lautete: „Ich suche!!!!!!!!! wer lesen kann ist ist klar im Vorteil Versandkosten 0,0€“. Während ich die wenigen Worte lese, kann ich mir gut einen aufgebrachten Mann vorstellen, der mit erhöhtem Puls diese Worte in sein Handy tippt. Und weil er am Anfang schon so viele Ausrufezeichen gebraucht hatte, dachte er sich wohl, dass im weiteren Verlauf seines kurzen Textes jegliches Satzzeichen sparen könnte.
Auch wenn es nur eine Kleinigkeit war, ich fühlte mich unrecht behandelt. Ich wollte helfen und hatte in der Eile ein Wort in der Anzeige übersehen. Muss man dann gleich unfreundlich reagieren? Sofort schoss mir ein Gedanke durch den Kopf: „Na warte, dir zeig ich es.“ Ich gebe zu, mein Puls war auch etwas erhöht, als ich mit folgender Nachricht antwortete: „Weil sie mich so freundlich auf meine Lesefähigkeiten hinweisen, möchte ich mich sehr gerne revanchieren. Ein überzähliges Wort bitte löschen, Groß- und Kleinschreibung beachten und Satzzeichen setzen. Wer schreiben kann, ist klar im Vorteil. Ich wünsche ihnen noch ein schönes Wochenende. Freundliche Grüße.“ Ich freute mich noch kurz über meinen Konter und schickte die Nachricht ab.
Die Freude war nur kurz. Nicht, weil ich eine Antwort bekam, sondern weil mir wieder ein Gedanke kam, ein Bibelvers aus dem Römerbrief: „Wenn euch jemand unrecht tut, dann zahlt es niemals mit gleicher Münze heim.“ (Rö 12,17) Auch wenn es nur eine Kleinigkeit war, im Grunde habe ich nichts anderes gemacht. Die Geschichte mit der Kleinanzeige hat mir gezeigt, dass auch in mir der Impuls vorhanden ist, gleiches mit gleichem zu vergelten. Bei der Kleinanzeige waren es nur ein paar Nachrichten, in anderen Situationen kann dieser Impuls aber zu einem richtigen Streit werden. Wenn Jesus ermutigt, auch die andere Wange hinzuhalten und Paulus nicht mitgleicher Münze heimzuzahlen, dann steckt da die Fürsorge Gottes hinter. Gott möchte nicht, dass wir uns in immer weiter eskalierenden Streitereien verlieren. Diese Spirale des „Wie du mir, so ich dir“ kann aber oft nur durchbrochen werden, wenn jemand ausbricht. Das ist nicht immer leicht. Mich ermutigt aber, dass Jesus es selbst so vorgelebt hat: Wenn er beleidigt wurde, gab er es nicht zurück. Wenn er leiden musste, drohte er nicht mit Vergeltung (1Pet 2,23).
D. Behrens