Liebe Geschwister,
über Ostern waren die Zeitungen voll von kirchlichen Themen. Einmal, weil Pappst Franziskus am Montag gestorben ist. Das zweite Thema war ein Interview, das die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner der Bild am Sonntag gegeben hat. In dem Interview ging es um die Digitalisierung des Bundestages, um den Umgang mit der AfD und am Ende auch um ihren Glauben und Kirche.
Dabei ging es auch darum, dass Kirchen zu politischen Themen Stellung beziehen. Das führte zu vielen Reaktionen. Julia Klöckner hätte nichts von Demokratie und Religion begriffen. Ihre Aussagen wären Amtsanmaßung und übergriffig, ja sogar ein Eingriff in die Meinungsfreiheit, um nur einige Vorwurfe zu zitieren. Auf der anderen Seite gab es auch Menschen, die ihr Recht gaben. Kirche und Glauben hat nicht politisch zu sein, Glaube ist Privatsache, so deren Meinung.
Nachdem ich die ganzen Reaktionen wahrgenommen hatte machte ich etwas, das ich sonst nicht mache: Ich las das Interview in der Bild-Zeitung. Die grundsätzliche Frage ist ja, wie politisch ist Christsein? Nach meinem Verständnis ist Glaube und damit auch Kirchen und Gemeinden immer politisch. Der Begriff Politik bezeichnet ja grobgesagt alles, die Prozesse und Entscheidungen, die die Allgemeinheit betreffen. Schon im Alten Testament merkt man, dass Glaube nicht nur Privatsache ist. Gott spricht Unrecht in der Gesellschaft an und fordert dazu auf, dabei nicht mitzumachen, beziehungsweise dem aktiv entgegenzuwirken.
Jesus sagt, dass wer sich notleidenden Menschen zuwendet, direkt etwas für Gott getan hat. Deshalb gehört zum Christsein nicht nur das Bibellesen und Beten in der Abgeschiedenheit, sondern auch das Engagement, diese Welt zu mindestens ein Stückweit zum Besseren zu bewegen. Wenn sich Christen also gegen Drogenkartelle stellen, für Lebensschutz einsetzen oder den Schwachen zur Seite stehen, die in unserem gesellschaftlichen System unter die Räder kommen, dann hat das auch immer eine politische Dimension.
Dagegen hat Julia Klöckner auch gar nichts gesagt, ganz im Gegenteil. Wir leben in einem freien Land, und da dürfen sich auch Kirchen zu politischen Themen äußern. Was sie kritisiert hat, ist dass mitunter die grundsätzlichen Fragen von „Leben und Tod“ zu kurz kommen und damit Antworten, die „Trost und Stabilität“ bieten.
Ich kann jetzt nicht für andere Kirchen sprechen, sondern nur für mich selbst. Und ich sage: Julia Klöckner hat recht. In meinen Predigten soll es um grundsätzliche Lebensfragen gehen und um Antworten, die über dieses Leben und diese Welt hinausreichen. Wenn das nicht vorkommen würde, dann wäre ich, dann wäre Gemeinde, dann wäre Kirche austauschbar. Und natürlich prägt der christliche Glauben auch immer das Handeln im Alltag, oder er sollte es zu mindestens.
Warum also die ganze Aufregung? Hier zeigt sich ein Problem unserer Zeit. Anstatt zu versuchen, die Position einer Person zu verstehen, und dazu hätte man einfach nur den Bild-Artikel lesen müssen, wird sich gleich entrüstet und verbal losgeschossen. Leider passiert das zu oft, auch oft im Kleinen. Anstatt den Anderen zu verstehen, wird er gleich in eine Schublade gesteckt. Ich würde mir grundsätzlich wünschen, dass wir mehr aufeinander zugehen und versuchen einander zu verstehen. Das bedeutet ja nicht, dass man am Ende einer Meinung ist, aber es entspannt einiges. Und was ich vielleicht im ersten Moment als kritisch empfinde, kann ja durchaus auch berechtigte Kritik sein. Ich kann also nur gewinnen.
D. Behrens
