Liebe Geschwister,

ich bin mit den Kindern im Wald oberhalb von Kalefeld unterwegs. Wir gehen einfach der Nase nach, ohne bestimmtes Ziel. Wenn irgendwo etwas Interessantes ist, bleiben wir stehen, bei besonderen Bäumen, Pflanzen oder einer besonders schönen Aussicht. Zwischendrin machen wir eine Pause, essen etwas Kuchen und schnitzen Stöcker zu Speeren und Schwertern. Man weiß ja nie, was einem im Wald so begegnet. Nach einiger Zeit kommen wir zum Kriegerdenkmal, das dort oben im Wald ist. Immer wenn wir dort sind, fragen mich die Kinder, was es mit diesem Denkmal auf sich hat. Heute ist ihr Interesse aber eher gering. Hinter dem Denkmal steht eine große Kastanie. Im Gras zwischen dem Laub liegen unzählige Kastanien. Die Kinder fangen an, die Kastanien einzusammeln, schnell sind die Hände voll. Als wir nach einer Weile weitergehen, drücken mir die Kinder ihre gesammelten Schätze in die Hand. Meine Tochter reicht mir einige Kastanien, die sie aufgesammelt hat. Mein Sohn gibt mir nur ein paar Kastanienschalen. Ich frage ihn:  „Wo sind denn deine Kastanien, die du gesammelt hast?“ „Die habe ich weggeworfen. Die Schalen sind für unseren Herbsttisch in der Schule. Alle haben nur Kastanien mitgebracht. Wenn ich auch Kastanien mitgebracht hätte, hätte ich meine Kastanien nicht wiedergefunden. Aber Schale hat noch keiner mitgebracht, da weiß ich, dass das meine sind.“    Das klingt für mich nachvollziehbar. Niemand hatte die Kastanienschale im Blick, deshalb ist sie meinem Sohn wichtig geworden. Ich muss unweigerlich an eine Bibelstelle aus den Psalmen denken:

„Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden.“ Ps 118,22

Hier geht es jetzt nicht um Kastanienschalen, sondern um Steine. Wenn damals ein Gebäude errichtet wurde, wurden für die Ecken immer besonders gut bearbeitete Steine ausgewählt. Diese Steine sollten besonders gerade Linien haben, damit das Gebäude insgesamt gerade wird. Wenn ein Stein diesen Anforderungen nicht genügte, wurde er wieder auf einen Haufen mit Steinen geworfen. Der Autor des Psalms hatte das Gefühl,  „aussortiert“  zu sein. Das passiert immer wieder, dass Menschen andere Menschen abschreiben, ihnen nichts mehr zutrauen oder keinerlei Hoffnung mehr in sie setzen. Aber wo Menschen anderen Menschen das Gefühl geben aussortiert zu sein, da setzt Gott an. Gott wendet sich nicht ausschließlich den Schwachen zu, aber immer wieder in einer besonderen Art und Weise (1Kor 1,27). Und so hat sich Gott auch des Autors des Psalms angenommen. Wie genau das aussah, ist nicht klar, aber was Menschen aussortiert haben, dass hat Gott an besonderer Stelle einsortiert. Einige Jahrhunderte später bezieht Jesus diesen Psalm auf sich selbst (Mt 21,42). Petrus greift diese Stelle auch auf, um über Jesus zu sprechen (Apg 4,11; 1Pet 2,7). Jesus wurde auch von den Menschen aussortiert. Er passt nicht in das religiöse System seiner Zeit. Wie ein nicht passender Stein wurde er weggeworfen. Aber Gott hat ihn auferweckt und so wurde Jesus zu so einem Eckstein.

Wenn du in den nächsten Tagen einen Herbstspaziergang machst und an einer Kastanie vorbeikommst, dann nimm dock ein Stück Schale mit. Lege das Stück an einem Ort, wo es dir in den nächsten Wochen besonders auffällt. Erinnere dich daran: So wie meinem Sohn die Kastanienschale wichtig wurde, weil kein Kind an sie gedacht hatte, so sind Gott besonders die Menschen wichtig, an die wenig gedacht wird oder die das Gefühl haben,  “aussortiert“  zu sein.   

D. Behrens