Michael Kotsch

Am Samstag, den 10.02.2018 hielt Michael Kotsch, Dozent für Kirchengeschichte, Konfessions- und Sektenkunde, Religionswissenschaft und Apologetik an der Bibelschule Brake, in der FeG Bad Gandersheim einen Vortrag zum Thema : „Gemeinde im gesellschaftlichen Wandel der Zeit.“

Hier ein Auszug, als Anregung zum Nach– und Weiterdenken:

Rein theologisch-dogmatische Fragen scheinen in unserer Zeit nicht mehr so intensiv auf Interesse zu stoßen. Also solche Fragen wie: „ Was soll ich glauben, was ist der Mensch, wer ist Gott, wie ist das mit der Trennung zwischen Gott und den Menschen und wie kann sie überwunden werden?“ Für jemand der nicht an Gott, eine Macht jenseits unserer Welt glaubt, sind diese Fragen belanglos.

Was uns aber alle interessiert, sind ethische Fragen, Fragen des Zusammenlebens der Menschen. Und an diesem Punkt suchen Menschen oftmals händeringend nach Orientierung. Nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in christlichen Gemeinden. Vieles, was vor 100 Jahren noch als selbstverständlich galt, wird heute so nicht mehr hingenommen. Ein Grund dafür ist, dass sich heute für uns ganz neue Fragen stellen, beispielsweise durch die Weiterentwicklung der Medizin.

So stellen sich Fragen nach der Zulässigkeit der Organtransplantation, der Sterbehilfe oder lebensverlängernde Maßnahmen im hohen Alter. Oder die Fragen der Gentechnik. Vor wenigen Jahren noch brauchte man nicht überlegen, ob man gentechnisch veränderte Tomaten essen darf oder nicht. Diese Möglichkeit gab es überhaupt nicht. Dann die Fragen der Technik. Darf man heute noch mit gutem Gewissen einen Diesel fahren oder nicht? Ein zur Zeit heiß diskutiertes Thema.

Ein zweiter Grund liegt m.E. darin, dass wir in einer Gesellschaft leben, die über Jahrhunderte hinweg von christlichen Werten geprägt worden ist, die aber in den letzten 40 bis 50 Jahren zunehmend von christlichen Werten wegrückt, so dass sich die Christen plötzlich am Rande der Gesellschaft wiederfinden, zumindest was die ethischen Werte angeht. Vieles, was vor 1000 oder 2000 Jahren galt, war in den 1950er/1960er Jahren noch Bestandteil der allgemeinen Überzeugung einer großen Gruppe in unserer Gesellschaft. Häufig hatte sich das sogar in unserer Gesetzgebung wiedergefunden.

Heute haben wir eine Gesellschaft, die sich emanzipieren will vom christlichen Glauben und der Kirche. Man sieht dies auch als einen Befreiungsprozess. In diesem Jahr ist es nun 50 Jahre her, dass die 68er Generation auf die Straße ging. Die damaligen Demonstranten sind heute Minister, Richter, Journalisten und bestimmen das Denken der Menschen. Plötzlich gibt es da ganz andere Werte als die christlichen. Aber auch in christlichen Gemeinden sehen wir eine Veränderung im Denken und in der Argumentation. Es ist nicht mehr selbstverständlich, dass man die Bibel als Grundlage für ethische Fragen ansieht. Wohl kein Pastor würde sagen: “Die Bibel ist uns egal“, aber beispielsweise könnte argumentiert werden: „Das ist jetzt nur die Meinung von Paulus“. Das ist dann ein Ratschlag für uns, aber es hat uns eigentlich nicht direkt etwas zu sagen. Oder es bezöge sich nur auf die damalige Kultur in der Spätantike, als die erste Gemeinde entstanden ist. Das habe aber nichts mit unserer Gegenwart zu tun.

Die Frage ist, wie gehen wir damit um? Viele reagieren impulsiv und gehen davon aus: „Das, was ich als Kind gelernt habe, ist richtig“, und halten daran fest. Das kann man durchaus machen, wobei das auch nicht ganz befriedigend ist, weil wir ja in der Tiefe darüber nachdenken müssen, dass auch diejenigen, die uns geprägt haben, möglicherweise irren können. Das hält auf Dauer nicht stand. Weder dem eigenen tieferen Nachdenken, noch der Frage, die von außerhalb kommt.

Es gibt heutzutage verschiedene Möglichkeiten, wie man zu ethischen Schlussfolgerungen kommt, und alle diese Möglichkeiten werden auch im christlichen Umfeld eingesetzt und genutzt. Jetzt ist die Frage, welche davon suchen wir uns denn aus. Eine große Frage ist die, ob die Ethik prinzipiell gleichbleibend ist, oder ob die Antworten auf ethische Fragen veränderbar sind. Diejenigen in unserer Gesellschaft, die von einer Veränderbarkeit ethischer Maßstäbe ausgehen (das ist heute die Mehrheit in der BRD) haben dafür unterschiedliche Modelle. Ein sehr etabliertes Modell, welches von Seiten der 68er kommt, ist das „Diskurs-Modell“. Das heißt, das, was richtig oder falsch ist, wird durch den gesellschaftlichen Diskurs, also durch die Mehrheit der Gesellschaft bestimmt…

Andreas Weihrauch

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