Liebe Geschwister,
neben Rennrad fahren, haben ich noch ein weiteres Hobby, Radrennen im Fernsehen gucken. Besonders im Frühjahr gibt es einige prestigeträchtige Rennen. Also saß ich am Sonntagnachmittag mal nicht im Sattel, sondern auf dem Sessel, um das Amstel Gold Race zu schauen, ein Rennen in den Niederlanden. Aktuell lief gerade das Rennen der Frauen. Eine Gruppe von Fahrerinnen konnte sich vom Hauptfeld absetzen und machte nun nach über 150 Kilometern den Sieg unter sich aus. Schon kurz vor der Ziellinie hob die Niederländerin Lorena Wiebes ihre Arme zum Jubel in die Höhe. Die letzten Meter fuhr sie an der Spitze, und so war sie sich sicher, dass sie das Rennen gewonnen hatte. Was sie dabei nicht bemerkte war, dass links neben ihr ihre Landsfrau Marianne Vos sie im letzten Augenblick noch überholte.
Manchmal ist es im Radsport nur eine Reifenbreite, die über den ersten oder zweiten Platz entscheidet, bei diesem Rennen waren es aber deutlich. Hätte Lorena Wiebes nicht so früh die Hände vom Lenker genommen und sich aufgerichtet und hätte sie noch weiter mit aller Kraft in die Pedale getreten, so hätte sie das Rennen womöglich gewonnen. So verschenkte sie aber ihren Sieg und es gab am Ende eine erstaunte Siegerin und eine umso mehr enttäuschte Zweitplatzierte.
Mich erinnern solche Situationen immer an einen Bibelvers aus dem Brief des Paulus an die Gemeinde ein Korinth:
„Du meinst also, fest zu stehen. Dann pass auf, dass du nicht zu Fall kommst.“ (1Kor 10,12).
Paulus hätte auch schreiben können: „Du glaubst zu gewinnen? Dann pass auf, dass du nicht Zweite wirst.“ Er warnt vor einer zu großen Selbstsicherheit, weil gerade die dazu führen kann, dass man ins Stolpern kommt und das Sichergeglaubte verliert. Die Christen in Korinth waren wohl sehr selbstsicher.
Das ist nicht grundsätzlich verkehrt. Es ist gut, wenn einem der Glaube ein Gefühl von Sicherheit und Stabilität geben kann. Es gibt ja auch die Martin Luther zugeschriebenen Worte vor dem Reichstag in Worms: „Hier stehe ich. Gott helfe mir. Ich kann nicht anders.“ Der Glaube an Gott kann einem Standhaftigkeit geben. Und so glaubten wohl auch die Korinther einen besonders festen Glauben zu haben. Sie gingen wohl davon aus, dass ihr Glaube so gefestigt ist, dass sie keine Schuld auf sich laden würden und sie nichts aus der Bahn wirft.
Paulus erinnert dann aber an die Geschichte Israels, als sie aus Ägypten durch die Wüste in das ihnen versprochene Land zogen. Die Geschichte schildert ganz besondere Momente der Gottesnähe und unvorstellbare Wunder. Wenn man Gott so intensiv erlebt, sollte doch eigentlich nichts schiefgehen. Aber genau das passierte. Trotz aller intensiven Gotteserfahrungen gab es immer wieder Menschen, die sich von Gott distanzierten, was zu allerlei Problemen führte. Deshalb diese Worte von Paulus, mit denen er die Menschen in Korinth vor ähnlichen Erfahrungen bewahren möchte.
Ich muss bei dem Vers auch an meine Kinder denken, als sie laufen lernten. Die Arme nach oben ausgestreckt, um sich an meinen Zeigefingern festzuhalten. Sie wussten, dass sie noch nicht sicher stehen konnten und dass sie die Hilfe ihrer Eltern brauchten. Und natürlich sind sie auch gestolpert. Aber sie wurden aufgefangen. Mittlerweile brauchen sie meine Hände nicht mehr, um sicher zu laufen. Und wenn sie dennoch mal stolpern und hinfallen, dann sind wir aber da, um sie zu trösten, so wie unser himmlischer Vater.
D. Behrens