Ungerechte Zahlen

Liebe Geschwister,

vor einigen Tagen sagte mein Sohn Moritz (5) folgendes zu mir: „Drei ist eine ungerechte Zahl.“ Sofort will ich ihn berichtigen: „Das heißt ‚ungerade Zahl‘, Moritz. Die Drei ist eine ungerade Zahl.“ Dann versuche ich ihm zu erklären, was gerade und ungerade Zahlen sind. Moritz kann das aber so nicht stehenlassen: „Nein, die Drei ist eine ungerechte Zahl.“ Und dann erklärt er es mir: „Die Drei besteht ja aus der Zwei und der Eins. Und die Zwei ist ja viel mehr als die Eins. Das ist ungerecht.“ Ich denke mir, dass das einleuchtend klingt und nehme mir vor, erst dann mit ihm weiterzureden, wenn er Bruchrechnung und Dezimalzahlen in der Schule hat.

Bei dem kurzen Gespräch merke ich aber wieder einmal, dass wir Menschen ein feines Gespür für Ungerechtigkeit haben, besonders Kinder. „Das ist aber ungerecht!“ ist ein Satz, denn man oft von Kindern hört. Ungerechtigkeit stört uns, besonders, wenn wir selbst ungerecht behandelt werden. 

Deshalb ist es nicht erstaunlich, dass alle Kulturen ethische Maßstäbe haben. Wir erleben aber auch, dass trotz aller Gesetze, Verhaltensvorschriften und ethischen regeln die Welt nicht gerecht ist. Wir wünschen uns Gerechtigkeit, sind aber auch immer wieder selbst Auslöser für Ungerechtigkeit. Das kann manchmal ganz bewusst geschehen oder unbewusst. Manchmal sind es konkrete Taten und manchmal liegt es auch an Strukturen. Ist es gerecht, das eine Frau in Bangladesh in der Textilindustrie 80€ verdient, obwohl 160€ das Mindeste wären, um einigermaßen über die Runden zu kommen? Ich denke nicht. Gott fordert immer wieder dazu auf, gegen Ungerechtigkeit anzugehen. Ich denke da an Sprüche 31,8f:

„Erheb deine Stimme für Menschen, die nicht für sich selber sprechen können! Setz dich ein für das Recht aller Schwachen! Erheb deine Stimme und urteile gerecht! Verhilf den Armen und Wehrlosen zum Recht!“

Das möchte ich gerne tun, nicht schweigen, laut sein, wenn ich Unrecht erlebe. Ich möchte mich für die Schwachen einsetzen. Und dann meldet sich eine Stimme in mir: „Hast du nicht diese Woche erst T-Shirts für 1,99€ gekauft?“ Ich muss gestehen, dass das stimmt. 1,99 für ein T-Shirt ist auch eine ungerechte Zahl. Da wird mir einmal mehr bewusst, dass die erste Stimme gegen Ungerechtigkeit immer die innere Stimme sein soll: Wo habe ich Anteil an der Ungerechtigkeit in der Welt? Das beginnt beim Kaufverhalten und geht weiter bis hin zu meinem Verhalten den Menschen gegenüber, denen ich in meinem Alltag begegne. Ich weiß, dass mein Verhalten allein die Welt nicht ändern wird. Dafür ist die Ungerechtigkeit in dieser Welt zu groß. Aber einen kleinen Unterschied macht es schon. Und ich spüre auch, wie ich Gott näherkomme, wenn ich feinfühliger für die Ungerechtigkeit werde.

D. Behrens

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