Vogelnester

Liebe Geschwister,

ist dir auch schon mal aufgefallen, dass an manchen Hausdächern Streifen aus Absperrband herabhängen? Das machen Hausbesitzer nicht, weil sie es so schön finden. Der Grund ist ein anderer. Damit soll verhindert werden, dass unter dem Dachüberstand Vögel ihre Nester bauen und die Hauswand verdrecken. Vor ein paar Tagen habe ich mal wieder meine Kinder von der Schule und vom Kindergarten abgeholt. Als ich mit dem Auto unter das Carport fuhr, fragte mich meine Tochter: „Papa, was ist das dort oben?“  Auf einem Balken waren Zweige und vertrocknetes Gras. Als ich genauer hinschaute, entdeckte ich einen Vogel, der aus der Mitte herausschaute. „Das sind Vogelnester, die wollen dort ihre Eier ausbrüten“, sagte ich. Mich störten die Vögel im Carport nicht. In den folgenden Tagen merkte ich schon, dass ein bisschen mehr Dreck unterhalb der Nester war, aber das konnte ich verkraften. Immer wenn ich die Nester sah, musste ich an Psalm 84,4f denken:

„Sogar der Sperling hat ein Zuhause gefunden und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen. So ist es auch bei deinen Altären, Herr Zebaot, mein König und mein Gott: Glücklich sind, die in deinem Haus wohnen und dich dort für immer preisen!“

Der Psalm stammt wohl von einem Menschen, der zum Tempel nach Jerusalem pilgern wollte. Der Tempel war für ihn der Ort der Gegenwart Gottes und der Geborgenheit. Ein Ort, wo die Seele aufatmen kann und alles stimmt. So wie sich ein Vogel für sein Nest einen Ort sucht, um vor anderen Tieren und Hausbesitzern sicher zu sein, findet der Menschen diese Sicherheit bei Gott. Der Tempel war der Sehnsuchtsort des jüdischen Volkes, zu dem man immer wieder hinging. 

Gestern wollte ich dann im Carport etwas aufräumen und unser Auto von innen aussaugen. Natürlich wollte ich der Vogelfamilie nichts Böses antun, aber das wusste sie nun mal nicht. Ich war für sie eine Bedrohung. Aus ihrer Sicht war es vorbei mit der Sicherheit und Geborgenheit, sodass der Vogel davonflog. „Selbst schuld“, hätte ich mir sagen können, „Was baut ihr auch euer Nest in meinem Carport?“. Natürlich ging ich erst mal etwas weg und wartete, bis der Vogel wiederkehrte. Dann machte ich weiter, aber wesentlich leiser und vorsichtiger. Aber der vermeintliche Ort der Sicherheit war für die Vögel zu einem Ort der Unsicherheit geworden. Dem Tempel erging es ähnlich, 70 nach Christus wurde er endgültig zerstört und es war vorbei mit diesem Sehnsuchtsort der Sicherheit und Geborgenheit.

Im Johannesevangelium spricht Jesus in geheimnisvoller Art und Weise auch vom Tempel: „Reißt diesen Tempel ab, und in drei Tagen werde ich ihn wiederaufbauen.“ Damit meinte Jesus seinen Körper, und dass er nach drei Tagen wieder auferstehen wird. Das war ein revolutionärer Gedanke. Gott wohnt nicht mehr an einem Ort in einem prächtigen Gebäude, sondern in einem Menschen, der umherzog und am Kreuz starb. Der Sehnsuchtsort, der Sicherheit und Geborgenheit gibt, ist die Person Jesus, die mit dir mitgeht und dabei wie ein Zuhause oder wie ein Nest ist. So ist das Leben in Gottesgegenwart nicht mehr an einen Ort gebunden, sondern geschieht in deinem Alltäglichen unterwegs sein.

D. Behrens

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner